ls Besucher oder Patient der Hirslanden Klinik hat man mit einem Formel 1 Fahrer mehr gemeinsam als man glaubt. Ein F1-Fahrer, der 7 Stunden im Auto (und weitere 7 Stunden in den Meetings verbringt), braucht maximale Ausdauer, Kraft und beste Reaktionszeiten, um wiederholt sicher und schnell die Ziellinie zu erreichen. Executives mit 90 Key Performance Indicators oder Senioren im Alter von 75 wollen ihre Leistung in einem anderen Kontext verbessern bzw. erhalten. Sei es beim Unternehmensprojekt oder beim Wandern mit den Enkeln. Um es auf ein «F1-Niveau im Leben» zu bringen, muss man den Körper holistisch betrachten und die Muskelkraft als eine der wichtigsten Präventions- als auch Rehabilitationsmassnahmen sehen. Sei es im Motorsport, im Unternehmen oder im Alltag. In der Medizin sprechen wir von Primär- und Sekundärprävention.
"Wir sind keine Sklaven unserer Gene. Unsere Gesundheit ist nicht selbstverständlich und wir können viel tun, um sie im Alltag zu optimieren."
Bei den F1-Fahrern wird besonderes Augenmerk auf die physische sowie mentale Ausdauer, Kraft, Fokus, Reaktionszeit und auf die Vorbeugung von Problemen am Bewegungsapparat gelegt. Aber eigentlich gilt dasselbe für jeden Menschen im Alltag. Ob man Red Bull, McLaren, Mercedes oder Velo fährt, man wendet sich mit einem Ziel an den Experten: Man will die Leistung optimieren und Krankheiten bzw. Verletzungen vorbeugen. Zu verschiedenen Zeiten priorisieren wir das eine oder das andere Ziel. Leider werden wir alle irgendwann krank oder wir verletzen uns. Für Ärzte heisst das, die Massnahmen der Präventionsmedizin intelligent einzusetzen. Was bedeutet das konkret?
In der Präventionsmedizin geht es um die Vermeidung von Krankheiten und Verletzungen durch die Eliminierung von Gesundheitsrisiken wie Schlafmangel, Stress, Rauchen, Übergewicht, Bewegungsmangel, Fehlbelastungen, Überbelastungen, Alkohol- und Medikamentenabusus (Primärprävention) und um die Optimierung von Gesundheit, Resilienz und Leistungsfähigkeit (Sekundärprävention). Neben einer Rehabilitation nimmt die Sekundärprävention hier langfristig eine essentielle Rolle ein, denn man will zu jedem Zeitpunkt das Wohlbefinden und die Leistungsfähigkeit erhalten. Im Folgenden erläutere ich, worauf man achten muss, um die Performance und das Wohlbefinden im Alltag zu steigern.
Allzu oft bei ausserordentlichen Leistungen im Sport oder im Alter hört man “Dies ist genetisch bedingt.” Doch wir sind keine Sklaven unserer Gene. Es ist bestens bekannt, dass kräftige und gesunde Muskeln, sowie Kraft- und Ausdauertraining einen positiven Einfluss auf Herz, Kreislauf, Lungen, Magen-Darm Trakt, Metabolismus, Hormone und das Hirn haben. Umgekehrt wird aber die Gesundheit der Muskeln und die des Bindegewebes vom Lebensstil, dem Kreislauf und dem Stoffwechsel stark geprägt. Muskeln und Bindegewebe stärken heisst, das ganze System stärken und umgekehrt.
Der Abbau der Muskelmasse beginnt durchschnittlich mit 30 Jahren und beträgt bis ein Prozent pro Jahr. Medizinisch kann ein Muskelabbau computertomographisch quantifiziert werden und auch anhand von Harnstoff im Urin erkannt werden. Durch eine gesunde Ernährung und regelmässiges Training können wir jedoch gut gegensteuern, auch im Alter von 60, 70, oder 80+. Hier geht es nicht nur um Muskelaufbau durch Krafttraining, sondern auch darum, die Elastizität der Muskeln und gesunde Knochen, Bänder und Sehnen zu fördern.
Durch einen gesunden Lebensstil und adäquates Training können auch Verletzungen vermieden werden - was wichtig ist, denn Bettlägerigkeit oder Ruhigstellung bei Verletzungen führen zu einem rapiden Muskelverlust oder zu Muskelatrophie. Eine Muskelatrophie wird auch durch Unterernährung bei z.B. Anorexia nervosa oder bei einer zu geringen Proteineinnahme wegen Fehlernährung begünstigt. Insbesondere am Abend ist es wichtig, Protein einzunehmen (auch vegetarische Quellen wie Nüsse, Sojamilch, Haferflocken, Linsen), um den Muskelabbau in der katabolischen Phase des Schlafs zu reduzieren. Erwähnenswert ist auch, dass Senioren ab 65 Jahren ein erhöhter Proteinbedarf haben und mindestens 1,0 Gramm Eiweiss pro Kilogramm Körpergewicht brauchen, sowohl für die Muskeln und Knochen wie auch für ein starkes Immunsystem.
Auch die Hormone haben einen Einfluss auf die Gesundheit des muskuloskelettalen Systems. Bekannt ist, dass weibliche Hormone wie Östrogen und Progesteron sich auf die Eigenschaften des Bindegewebes auswirken und dass das Risiko für eine vordere Kreuzbandruptur (Riss) bei Frauen viel höher ist als bei Männern. Zudem ist das Risiko für ein Ruptur deutlich höher in der ersten Hälfte des Zyklus. Metaanalysen zeigen, dass orale Kontrazeptiva das Risiko einer Ruptur bis zu 20% reduzieren können. So kann beim Erstellen eines Trainingprogramms bei Athletinnen diese Zyklusabhängigkeit berücksichtigt und orale Kontrazeptiva als Schutz eingesetzt werden. So kann sich aber auch jede Frau bewusst machen, dass nicht nur ihre Leistungsbereitschaft zu Beginn des Zyklus viel tiefer ist, sondern auch die Verletzungsgefahr höher ist.
Für eine optimale Leistung im Leben und im Sport sind Ruhephasen und Schlaf hoch signifikant. Ohne Superkompensation, sprich Ruhephasen und Auffüllen von den Glykogenspeichern zwischen Trainingseinheiten, können wir unsere Leistung nicht steigern und im schlimmsten Fall verschlechtert sie sich sogar. Im Schlaf werden sowohl Abbauprodukte im Hirn wegtransportiert wie auch die Energiereserven für den nächsten Tag aufgebaut. Studien zeigen, dass der universelle Energieträger ATP im Gehirn während des Tiefschlafes aufgebaut wird, damit wir tagsüber wieder konzentriert trainieren können und optimal funktionieren, sowie mental und physisch Leistung erbringen können. Es wird geschätzt, dass ein Viertel aller Verkehrsverletzungen aufgrund Schlafmangels und somit durch Konzentrationsmangel sowie reduzierten analytischen Fähigkeit passieren. Der Schlaf und die Schlafqualität sind multifaktoriell bedingt, aber auch hier spielt die Ernährung eine Rolle. Ein proteinreiches Abendessen verbessert nicht nur den Muskelkater, sondern auch die Schlafqualität. Kohlenhydrate und Fett hingegen verkürzen den Schlaf.
Exzentrisches Training, das sich im Krafttraining wie Bremsen anfühlt, schöpft das Potential des Muskels besser aus. Damit wird der Muskelaufbau gesteigert, der Kraftaufbau erhöht (Studien zeigen sogar eine Steigerung der Maximalkraft um bis zu 10% binnen weniger Wochen), die Schnellkraft, das Bindegewebe, die Sehnen und die Gelenke trainiert (die somit mehr Belastung abkönnen und die Leistungsfähigkeit nochmals pushen) und die Rehabilitation nach Verletzungen und Trainingspausen wird verbessert. Deshalb sind auch bei einer Arthrose und bei einer Knorpeldegeneration Kraftübungen wichtig, um die Beweglichkeit und Gelenkigkeit aufrechtzuhalten und die Schmerzen zu bekämpfen. Zudem kann auch Chondroitinsulfat den Knorpel gegen Druck und Belastung widerstandsfähig machen.
Auch bei chronischen Erkrankungen ist Kraft- und Ausdauersport zur Verbesserung der Krankheitsverlauf wichtig. Es ist z.B. bestens bekannt, dass der Aufbau von Muskelmasse den Insulinbedarf bei Typ 2 Diabetiker reduziert und die Insulinresistenz verbessert. Leider beeinflusst Diabetes die Muskulatur und Körper negativ, fördert den entzündlichen und schädlichen Prozessen im Körper und beschleunigt den Muskelabbau. So ist es zum einen wichtig, dass Diabetiker Kraft und Ausdauersport treiben, um die Prognose der Krankheit zu verbessern. Zum anderen sollte der Blutzucker medikamentös gut eingestellt sein, um die Muskulatur von Abbau und Entzündung zu schützen.
“Strong ist great” aber mehr Training ist nicht unbedingt besser. Es geht vielmehr darum, sich richtig zu trainieren und sowohl den Geist als auch den Körper gesamtheitlich zu pflegen.
Von der hormonellen Seite her beeinflussen neben Insulin auch Östrogen und Testosteron die Muskulatur und das Bindegewebe. Bei Östrogenmangel aufgrund der Menopause oder bei RED-S (Relative Energy Deficiency in Sports, früher Female Athlete’s Triad), kommt es relativ rasch zu Knochenschwäche, was später zu Osteoporose und Frakturen führen kann. Durch Erfahrungen, die die NASA im Weltall gesammelt hat und was auch andere Studien belegen, ist, dass durch ein korrekt durchgeführtes Krafttrainingsprogramm eine signifikante Erhöhung der Knochenmineraldichte erreicht werden kann, siehe Referenz unten. Gerade auch bei Ermüdungsfrakturen ist es wichtig, die Knochengesundheit und -stärke aufzubauen. Im Folgenden muss eine ausreichende Versorgung mit Calcium und Vitamin D3 sowie eine genügende Protein- und Kalorienzufuhr sichergestellt werden. Manche Studien zeigen auch, dass Vitamin K2 eine Rolle in der Prävention spielen kann.
"Mit der Zunahme der Muskelmasse steigern andere Organe in unserem Körper ihr Leistungsvermögen. Auch daher ist es wichtig die Muskelmasse aufbauen."
Ob man das Ziel hat, die Ziellinie im Sport als erstes zu überqueren oder im Alltag etwas zu leisten und sich dabei wohlzufühlen – es ist essentiell, den Körper holistisch anzuschauen und das ganze System zu stärken. Die Gesundheit der Muskeln und des Bindegewebes spielen eine lebenswichtige Rolle und sind von Lebensstil, Kreislauf und Stoffwechsel stark geprägt. Neben inneren Organen wie u.a. Herz, Lunge und Magen-Darmtrakt, müssen auch muskuloskelettale Bestandteile wie Sehnen, Bänder und Knochen gepflegt und bei Verletzungen rehabilitiert werden. Das Ziel sollte also immer sein, das ganze System zu stärken und dies unabhängig davon, ob man 25 oder 75 Jahre alt ist, ob man einen Wettkampf gewinnen, oder einfach den Tag geniessen will.
Quellen:
Smith, M.F. et. al. (2012). Benefits for bone from resistance exercise and nutrition in long‐duration spaceflight: Evidence from biochemistry and densitometry. Journal of Bone and Mineral Research, 27(9).
Miller, T. L., & Best, T. M. (2016). Taking a holistic approach to managing difficult stress fractures. Journal of Orthopaedic Surgery and Research, 11(1), 98.
Dr. med. Dr. phil. Anna Erat ist Chefärztin im Hirslanden Check-up Zentrum. Nach einem mehrjährigen Forschungsaufenthalt an der Harvard Medical School spezialisierte sie sich auf Innere Medizin, Sportmedizin und Prävention. Sie betreut Topathleten als Nationalmannschaftsärztin bei Swiss Ice Hockey und u.a. auch Formel 1 Fahrer für Hintsa Performance. Sie publiziert regelmässig in wissenschaftlichen Zeitschriften und unterrichtet Medizinstudenten in Zürich.
Alle Beiträge anzeigenDr. med. Dr. phil. Anna Erat ist Chefärztin im Hirslanden Check-up Zentrum. Nach einem mehrjährigen Forschungsaufenthalt an der Harvard Medical School spezialisierte sie sich auf Innere Medizin, Sportmedizin und Prävention. Sie betreut Topathleten als Nationalmannschaftsärztin bei Swiss Ice Hockey und u.a. auch Formel 1 Fahrer für Hintsa Performance. Sie publiziert regelmässig in wissenschaftlichen Zeitschriften und unterrichtet Medizinstudenten in Zürich.